Tagebuch

20. 07.

In Anbetracht des Wetterberichts habe ich mir heute wieder einmal einen Ruhetag gegönnt. Nach einem herrlichen Frühstück habe ich mir am Vormittag den beeindruckenden Naumburger Dom angeschaut. Hier ist der erste protestantische Bischof von Martin Luther persönlich eingesetzt worden, also geschichtsträchtiger Boden.

Danach habe ich mir auf dem Marktplatz einen Eisbecher gegönnt und habe ein schönes Mittagsschläfchen gehalten.

Am frühen Nachmittag bin ich mit dem Bus nach Bad Kösen gefahren, um mir das dortige Gradierwerk anzusehen, eines der größten in Europa, erbaut 1779 und mit einer Länge von 350 Metern schon von beeindruckendem Ausmaß.

Da es auf meiner Rückfahrt wieder abartig zu regnen begann und der Bus direkt vor einem Multiplexkino hielt, habe ich mir kurzerhand eine Karte für " Valerian" von Luc Bresson in 3D gekauft, ein Stück nette und quietschbunte Kinounterhaltung mit beeindruckenden Effekten und einer schönen Story.

Anschliessend war ich mittelmäßig zu Abend essen mit Weinen 

aus der Saale-Unstrut-Gegend, also passend zum Essen.

Jetzt bin ich wieder im Hotel und freue mich auf den morgigen Tag mit besserem Wetter.

21. 07.

Das Frühstück war genauso liebevoll zubereitet wie gestern, die Sonne lachte vom Himmel, ich habe herrlich geschlafen, da stand einem schönen Tag nichts mehr im Wege - und so war es dann auch. 

Ich habe ganz ruhig und gemächlich 105 km bei 500 HM absolviert. Ab Naumburg ist der Radweg entgegen der Beschreibung im Internet wirklich für Familien geeignet.

Wer von Euch also eine Tour mit Kindern unter 12 Jahren an der Saale plant, dem sei aus eigener Erfahrung empfohlen, erst in Naumburg zu starten, und das sage ich vor dem Hintergrund, das Maki ein wirklich härteres Kaliber ist bei allen körperlichen Anstrengungen , aber die Mooserei bei den Etappen davor hätte ich mir nicht anhören wollen. Also, mit Kids nur ab Nauenburg !

Ich bin jetzt in einer kleinen Familienpension in Wettin direkt am Fluss und werde mich gleich zum Abendessen begeben.

 

Vorher kommt am heutigen Freitag allerdings noch die letzte (schnüff) Ausgabe von

 

                                  "Schlager der Woche"

 

ich habe Euch als letzten Interpreten 

 

                                          Willy de Ville   

 

herausgesucht, das ist auch jemand, der leider nicht mehr lebt (Krebs), der aber bis fast zuletzt auf der Bühne gestanden hat. 

Ich habe von ihm mehrere Konzerte gesehen, die Bühnenpräsenz war schon fast unheimlich intensiv.

So, ich hoffe, es hat Euch gefallen, das ich etwas von meiner Musik mit Euch geteilt habe.

Es hätte natürlich noch viel mehr sein können; die Stones, Queen, Manfred Mann, Roy Orbison, Hoyt Axton, Southside Jonny, Daniel Lanois, Merle Haggard, Willie Nelson, Jerry Jeff Walker, Gun Club und Jeffrey Lee Pierce, Dwight Yoakem, Joe Ely, the Pogues, John Cougar Mellencamp, Rachel Sweet, Lou Reed, Joe Cocker,  

Steve Earle,  Catharine the Great.............

Nieselregen seit einer Stunde - zum Glück wurde es später besser 

Manchmal sieht es in den hinteren Winkeln von Sachsen-Anhalt immer noch so aus, das man denkt, man wäre in der Todeszone bei Tschernobyl unterwegs 

Plötzlich trifft man auf unerwartete Hindernisse - die Oberpute hatte übrigens beim Vorbeifahren den gleichen Blick wie eine Prenzlberger Öko-Mutti, wenn man im dichten Grossstadtverkehr im Range den imaginären Bannkreis von zwei Metern um ihre Schwabenbrut hinten im Fahrradanhänger durchbricht.

22. 07.

Bei herrlichem Sommerwetter gestartet, eine Stunde erweiterten Nieselregen durchfahren, später wieder Sonnenschein und leere Wege - das ist der Kurzbericht des heutigen Tages.

Ich bin jetzt nach 100 km mit 300 HM an der Saalemündung in die Elbe gelandet und warte gerade bei dem ersten Bier auf''s Abendessen.

Ich bin fest entschlossen, trotz der für den Hochsommer widrigen Wetterverhältnisse die letzte Woche der Tour ganz bewusst zu genießen in dem Bewusstsein, das soetwas nie wieder kommt.

Langsam holt mich die Sentimentalität ein, befürchte ich.

Es war eine herrliche Zeit, ungebunden und frei und ohne Probleme und nicht zu vergessen bei guter Gesundheit.

Besser hätte es kaum sein können.

 

On the Road again....

23. 07.

Ich bin heute um kurz nach sechs davon aufgewacht, das der Regen heftig auf das Dachschrägenfenster trommelte, unter dem ich lag. Da war an Schlaf nicht mehr zu denken.

Ein Blick auf das Regenradar zeigte mir glücklicherweise, das das für die nächsten 48h der letzte heftige Regen war.

Also habe ich mich angezogen, gefrühstückt und bin zeitig los bei bedecktem Himmel und nassen Straßen, die Stimmung war eher die eines späten Septembertages.

In der zweiten Tageshälfte kam dann mehr und mehr die Sonne zum Vorschein, nur die Temperatur war mit etwas über 20 Grad noch nicht hochsommerwürdig.

Ich habe heute 110 km mit 400 HM gemacht, allerdings ärgerlicherweise mehrere Kilometer umsonst, da an einer der Elbfähren Bauarbeiten ausgeführt werden, die Fährverbindung daher unterbrochen ist, die Deppen das aber nur auf den Autostrassen publizieren und nicht an den Radwegen.

Ein netter Autofahrer hat mich und weitere Radler dann darauf aufmerksam gemacht, da war ich aber schon kurz vor dem Anleger.

Das Ergebniss war jedenfalls, da ich keine Lust hatte, den selben Weg 15 km zurückzufahren, das ich über Landstraßen zurück zur Elbe gefahren bin. Positiver Nebeneffekt war, das ich nicht durch Magdeburg fahren musste; größere Städte machen mit dem Rad keinen Spaß.

Ich bin jetzt in meiner kleinen netten Pension direkt am Elbdeich und sitze beim Feierabendbier auf der Terrasse.

Bis morgen.

Abendstimmung am Fluss 

24. 07.

Nach dem Aufwachen dachte ich, mich trifft der Schlag - entgegen allen Voraussagen lachte die Morgensonne vom blauen Himmel.

Da habe ich mich in aller Eile eingekleidet ( Shorts und T-Shirt) und habe mir beim nahe gelegenen Bäcker frische belegte Brötchen, Kaffee und Kuchen besorgt und in aller Ruhe auf meiner Terrasse über dem Fluss gefrühstückt.

Nur die Vögel leisteten mir um sieben Uhr am Morgen Gesellschaft. Es war herrlich, völlige Ruhe, der Morgennebel in den Flussauen, die wärmende Sonne auf der Haut.....

Nach zwei Stunden der Muße habe ich mich losgerissen und mein Rad fahrfertig gepackt. Über schöne Radwege ging es dann immer am oder auf dem Elbdeich nach Norden.

Der Elberadweg gefällt mir besser als der an der Saale, da der Fluss größer ist, alles ist weitläufiger und nicht zu beengt wie das Saaletal.

Am frühen Nachmittag habe ich Tangermünde erreicht, eine alte Hansestadt und ein städtebauliches Kleinod! 

Eine völlig intakte Altstadt mit wunderbaren Stadttoren, Kirchen und Speichern aus rotem Backstein. 

Das wird in jedem Fall  'mal ein Ziel für einen Wochenendausflug mit dem Motorrad.

Eigentlich hätte ich hier schon in Richtung Rathenow abbiegen können, aber da es das Wetter weiterhin gut mit mir meinte und aus purer Lust am radeln bin ich der Elbe nordwärts bis fast nach Havelberg gefolgt und habe erst dort die Elbfähre ans rechte Ufer genommen, um dann bei immer dunkler werdendem Himmel gerade mal wieder rechtzeitig vor dem ersten Guss im Hotel einzulaufen.

Das Hotel entpuppte sich rasch als Volltreffer, ein mit viel Liebe zum Detail gestalteter Komplex mit schön angelegten Gärten, einer Saunalandschaft und einem Fisch- und einem großen Schwimmteich. Ein sehr freundlicher Besitzer, mit dem ich mich gleich sehr nett unterhalten habe, rundete das positive Bild ab. Hier kann ich die kommenden Regentage gut abwettern.

110 km.                 350 Höhenmeter 

25. & 26. 07.

Seit zwei Tagen sieht es beim Blick aus dem Fenster so aus, als sei schon der November eingezogen, im Internet habe ich gerade für den Berliner Raum eine Unwetterwarnung gelesen. 

Meine Entscheidung, die letzten Urlaubstage in der Mark Brandenburg nicht auf einem Zeltplatz zu verbringen, hat sich folglich als richtig erwiesen. Einerseits ist es ein bißchen schade, da ich gerne nocheinmal mein Zelt aufgebaut hätte, ich habe schließlich das ganze Equipment über die gesamte Tour mit mir sämtliche Berge hochgeschleppt, andererseits hingegen bin ich hier in dem kleinen aber feinen Wellnesshotel in Rathenow sehr gut aufgehoben.

Das Zimmer ist ausgesprochen wohnlich, das Frühstück einfach Spitzenklasse und der Saunabereich mit Schwimmteich sehr schön.

Gestern war ich acht Stunden im Wellnessbereich, habe sechs Saunagänge -zur Hälfte finnische Sauna, zur anderen Hälfte Dampfsauna-gemacht und immer wieder gelesen. Ein herrlich ruhiger Tag, der Popo dankt.

Hier werde ich angesichts der Wolkenmasssen am Himmel auch morgen noch bleiben, ich habe mir dann das wohl sehenswerte Optik - Museum als Ziel vorgenommen, das mir mehrfach empfohlen wurde.

Am Freitag werde ich dann Ketzin im Havelland erreichen, meine letzte Station vor Berlin.

28. 07.

Heute ging es mit herrlichem Sonnenschein in den letzten richtigen Fahrtag der Tour. Nach einem guten Frühstück, bei dem ich mir viel Zeit gelassen habe, ging es über schöne Radwege durch die Mark Brandenburg, eine Landschaft, die trotz - oder eventuell gerade wegen ihrer Kargheit - aber immer durchsetzt mit vielen schimmernden Wasserarmen oder Seen, bei mir jedes Mal ein

" Heimatgefühl" auslöst, so auch dieses Mal.

Man(n) kommt halt nach Hause.

Ich habe einen Abstecher über Brandenburg/Havel gewählt, weil ich zum einen nochmal das Radfahren bei dem schönen Wetter auskosten wollte, zum anderen wollte ich mir die Stadt endlich einmal anschauen. Das Ergebnis war eher ernüchternd, das Beste war der gute Eisbecher auf dem Marktplatz.

Nach insgesamt knapp 70 km bei 250 HM bin ich jetzt an meiner letzten Station angekommen, ein nettes Landhotel bei Ketzin.

Das erste Bier hat gut geschmeckt, mal sehen, wie das Abendessen wird, da darf man in Brandenburg nie zu euphorisch sein.

Morgen sind es noch 40 km zum Brandenburger Tor.

See you there.

29. 07.

Nun nähert sich meine Tour dem Ende zu - ein Traum ist in Erfüllung gegangen !

 

Ich bin froh, stolz und glücklich, alles geschafft zu haben.

 

Ein Unfall, keinen  platten Reifen, keine Krankheit.

Manchmal war es hart, manchmal hätte das Wetter etwas gnädiger sein können, aber insgesamt werden mir diese drei Monate alleine mit meinem Rad auf der Landstraße für immer im Gedächtnis bleiben als einmaliges und phantastisch schönes Erlebnis. 

 

Ich habe mich vor meiner Abreise nach insgesamt dreißig anstrengenden Jahren mit Abendschule, Studium, Selbstständigkeit in dauernder Verantwortung, Familiengründung und Hauskauf/Umbau ausgelaugt und lustlos gefühlt und diese Tour war in der Tat der erhoffte Jungbrunnen für mich, ich fühle mich körperlich fit wie seit langen Jahren nicht mehr und bin wieder motiviert und voller Ideen.

 

Auch an dieser Stelle möchte ich mich nochmals ganz herzlich bei der besten Ehefrau von allen bedanken, deren Stehvermögen diese Reise überhaupt ermöglicht hat.

 

Wenn ich beim Danksagen bin, dann geht der nächste Dank an Dich, lieber Leser, der Du während der letzten Wochen immer eifrig in Gedanken dabei warst-mir hat das Schreiben dieses Tagebuches an nahezu jedem Abend immer viel Freude bereitet und ich werde das mit Sicherheit vermissen.

 

Die Tour in nackten Zahlen:

 

 

Bereiste Länder : 5 (Vereinigtes Königreich, Spanien, Portugal, Frankreich, Deutschland)

Zurückgelegte Kilometer mit dem Rad: 4800

Fahrtage: 61

Durchschnittliche Kilometerleistung pro Tag: 79

Höhenmeter: 51500 (gut fünfeinhalb Mal den Mount Everest hoch)

Höhenmeter pro Fahrtag: 845

Übernachtungen an verschiedenen Orten: 65

Fährfahrten: 8

vermuffelte Eisbecher: ca. 160

 

.... unselige Vergangenheit 

Zum Abschluss noch ein Gedanke als Fazit:

Europa ist ein herrlicher Kontinent - mir ist, wie schon so oft in der Vergangenheit, die Vielfältigkeit seiner Kulturen, seiner Landschaften, seiner Bauwerke, seiner Küche und seiner Menschen wieder einmal bewußt geworden. Ich habe ganz viele nette, interessierte, interessante und hilfsbereite Leute aus vielen Ländern kennengelernt und das hat mir wieder einmal vor Augen geführt, das Europa weit mehr ist als die Summe seiner Mitgliedsländer - die Gegensätze und Unterschiede in Frieden, Rechtssicherheit und Freiheit sind es, die Europa so wohltuend von den meisten anderen Gegenden dieser Welt abhebt.

 

Gegenwart: Freudschaft seit mehr als zwanzig Jahren - mit Eric in Bordeaux (oben) und Chris in London

 

Lasst uns dieses herrliche und endlich friedlich vereinte Europa nicht von engstirnigen und rückwärtsgewandten  bescheuerten Nationalisten kaputtmachen !! 

 

Gebt diesen Leuten keinen Fußbreit Boden, egal ob UKIP, AfD, Front National, Lega Nord, PIS oder unter welchen Kürzeln dieses Pack auch immer auftreten mag.

Nationalismus bedeutet systemimmanent immer, das ich der Meinung bin, besser als der umliegende Rest zu sein und mich daher davon abschotten möchte. Das diese Haltung zwangsläufig wieder zu Spannungen innerhalb unseres Kontinents führen MUSS, für diese Erkenntnis sind diese Leute zu dämlich oder haben keine Ahnung von der jüngeren Geschichte, vermutlich beides.

Es liegt an jedem von uns, diese widerlichen und dummen Figuren dahin zu befördern, wo sie endgültig hingehören: in den Orkus der Geschichte !

 

 

 

 

 

1914 ist ein prosperierendes Europa am Nationalismus kaputtgegangen und es hat ein ganzes Jahrhundert gebraucht, bis sich unser Kontinent davon erholt hat.

 Ich bin sowohl in Frankreich als auch in Deutschland in kleinen Orten immer wieder an Kriegsdenkmälern vorbeigefahren, an denen jeweils der Toten dieser Dörfer in beiden Weltkriegen gedacht wird und musste dabei immer an meine Freundschaft mit Eric (Bordeaux) oder Chris (London) denken - vor einhundert Jahren genau hätten wir jeweils aufeinander geschossen, statt das wir wie Eric und ich  gemeinsam darüber nachdenken, wie wir den Schüleraustausch unserer beiden gleichaltrigen Töchter organisieren ins jeweils andere unserer beiden nun endlich befreundeten Länder. 

 

Lasst uns die vorhandenen Probleme gemeinsam anpacken, die Menschen in Europa sind es wert !!!

 

 

 

 

Das war`s, liebe Freunde.

 

Ich freue mich sehr  über jeden von Euch, der mich am Samstag gegen 13.30  Uhr am Brandenburger Tor willkommen heißt. 

Alles weitere dann wieder mündlich bei einem guten Glas Wein.

 

 

                                                            Over and Out

 

die Zukunft: Jasmin & Nadeshda

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© Sigurd Pohl